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Verdrängte Schuld

Kleine Industrien in der Medina von Fès verschmutzen Flüsse und Trinkwasser

Katharina Fiedler und Mohammed Assaf

Mit einem langen Holzstock angelt Ayad Alkhammari eine qualmende Hose aus einem der heißen Wasserfässer in seiner Werkstatt. Lilafarbene Wassertropfen fallen auf den Steinboden, als der Färber die nasse Hose zum Trinkwasserbrunnen trägt. In einem Plastikeimer mit Frischwasser wäscht er die überschüssige Farbe aus der Hose. Klares Wasser wird lila.Trinkwasser wird zu Abwasser. Die Wellen ergießen sich in den Abfluss des Brunnens.

Seit 50 Jahren färbt Ayad Alkhammari Kleidung in Fès, der ältesten der vier großen Königsstädte Marokkos. Seit 50 Jahren gießt Ayad das farbige Abwasser in den Abfluss neben dem Trinkwasserbrunnen. Und von dort fließt es ungefiltert in den Fluss nebenan: An einer Brücke, nur wenige Meter von Ayads kleiner Färberei entfernt, schäumt braunes Wasser auf, wenn die Wellen brechen. Essensreste, Plastikflaschen und ein Stück Holz schwimmen vorbei. Doch die Färber verteidigen sich: Den Fluss in Fès würde die Olivenöl-Industrie zehn Kilometer weiter nördlich verschmutzen, nicht sie. „Das ist keine Wasserverschmutzung hier“, sagt einer der Arbeiter. Hinter ihm schüttet eine ältere Frau den Inhalt ihrer Mülltonne von der Brücke in den Fluss.

Plastikmüll in den Pfützen

Tausende Touristen drängen täglich durch die Medina von Fès, der berühmten, mittelalterlich Altstadt. Blitzlichtgewitter, Stau in den engen Gassen, ein kurzer Blick in die vielen, kleinen Geschäfte: Kupfertöpfe, goldene Lampen aus 1000 und 1 Nacht, Teppiche, Ledertaschen und -schuhe. Fast alles, was hier verkauft wird, stellen die Menschen vor Ort her. In den Hinterhöfen sitzen in schlecht beleuchteten Räumen Frauen und Kinder, nähen Ledertaschen zusammen oder Reißverschlüsse ein. Auf riesigen Webstühlen werden Tücher gewebt. Mit altem Motorenöl poliert ein Mann ohne Zähne ein altes Silbertablett, das ölige Wasser sickert in den Abfluss im Boden.

Autos oder Mopeds sind in der Medina verboten. Zu eng sind die Gänge zwischen den sandfarbenen Mauern der Häuser, zu stark ist die Steigung vieler Wege, die Touristen an eine Wanderung in den Bergen erinnert. Daher ziehen die Einheimischen ihre Karren mit Muskelkraft durch die Medina oder Esel schleppen Lasten, manche Tiere mit suppenden Wunden oder geschwollenen Zungen. An einem Stand mit rohem Fleisch hängt ein frischer Kamelkopf an der Tür, auf dem Fell klebt noch getrocknetes Blut. Essensreste und Plastikmüll sammeln sich in den Pfützen an den Häuserecken.

Es gab viele Versuche der Stadt, die industrielle Wasserverschmutzung in der Medina einzudämmen. Auch wenn neue Abwasseranlagen am Rande der Stadt den Fluss etwas entlasten – gegen die direkte Wasserverschmutzung in der Medina scheint die Verwaltung machtlos, erzählen Einheimische. Zu viele Menschen würden hier illegal arbeiten, als dass Fès sie kontrollieren könnte.

Die berühmte Altstadt von Fès, die Medina, gilt als die größte ihrer Art in Nordafrika. In ihren Mauern wurde im Jahr 859 die Universität al-Qarawīyīn gegründet, die älteste noch bestehende Bildungseinrichtung der Welt.

Bab Rcif – ein Tor in eine Welt der 1000 Gassen. Nicht nur unzählige Touristen verlaufen sich täglich im Labyrinth der Medina. Für 500.000 Menschen ist die Altstadt von Fès ein Zuhause.

Vor den vielen kleinen Geschäften und in den unzähligen Hinterhöfen der Medina werden Kupferwaren gefertigt, Silbertablette aufpoliert und Ledertaschen und Schuhe genäht. Auch viele Kinder arbeiten hier.

Ayad färbt seit 50 Jahren Hosen, Jacken und Blusen in der Medina. An seinem Laden kommen täglich viele Touristengruppen vorbei. Will jemand ihn bei der Arbeit fotografieren, ruft er grimmig „Money, money“ und verscheucht die Neugierigen.

Rot, lila, gelb,blau, grün, blau und schwarz. Mit sieben verschiedenen Farben färbt Ayad die Kleidung seiner Kunden.

Die Abwasser der Handwerker in der Medina fließen direkt in den Fluss nebenan.

Einheimische entleeren ihre Mülltonnen im Fluss. Die Wasserqualität der Gewässer in Fès und das Trinkwasser sind schlecht.

Wie ein großer Farbmalkasten sieht die Chouara-Gerberei von oben aus. Das Handwerk der Gerber hat in Fès eine lange Tradition. In den gefüllten Lehmbecken werden die Rinder- und Schafshäute gewaschen, eingeweicht, gefärbt und am Ende aufgehangen und getrocknet.

Khalid Chalif, 28, arbeitet seit 17 Jahren in der Gerberei. Im Sommer stinken die gefüllten Lehmbecken hunderte Meter weit, im Winter ist das farbige Wasser dort drin eiskalt. Die Abwasser der Färberein und Gerbereien belasten die Umwelt sehr.

Es riecht nach Verwesung und Abfall. Der beißende Geruch der Ledergerbereien im Nordosten der Medina frisst sich schon viele Gassen vor der Chouara-Gerberei in die Nase. „Tannery, tannery“, rufen junge Männer und wollen für ein paar marokkanische Dirham Touristen auf eine der Terrassen locken, von denen die älteste Ledergerberei in der Medina zu überblicken ist. Gegen den Gestank verteilen Tourguides Minzblätter, die sich die Besucher unter die Nasen halten.

Wer jedoch die Chouara-Gerberei von innen sehen möchte, braucht mehr Geld und einen „Local“, der weiß, wen man fragen muss. Ohne Kontakte kein Eintritt.

Seit dem 14. Jahrhundert wird hier auf die gleiche Weise Leder gegerbt und gefärbt: Die Gerber bestreichen die Häute mit Ammoniak, weichen sie in Rinderurin ein, waschen die Häute in einer großen Waschtrommel. Anschließend beginnt die eigentliche harte Arbeit: Über Stunden stehen die Männer in den verschiedenen Lehmbecken, die bis zum Rand mit Kalkwasser, aufgelöstem Taubenkot und Farbwasser gefüllt sind, und kneten, mischen und stampfen die Häute. Im Sommer ist der Gestank am stärksten, nur Regen und Kälte schaffen etwas Milderung.

„Alles ganz natürlich“

Khalid Chalif zieht sich eine wasserdichte Arbeitshose an und lässt sich in das Lehmbecken mit Taubenkot gleiten. Immer wieder greift er mit seinen Händen in das eiskalte Wasser, taucht die Häute ein. Der Taubenkot macht das Leder weich. „Die Gerberei ist unsere Mutter, sie bringt uns Essen auf den Tisch“, sagt er.

Schon Khalids Großvater und Vater waren Gerber. Als er mit 11 Jahren hier anfing, konnte er sich keinen besseren Ort zum Arbeiten vorstellen. Heute, 17 Jahre später, ist der Lohn geringer als früher. Die Arbeit ist langsam. Bis zu 100 Tage braucht Leder hier, bis es in einer der kräftigen Farben erstrahlt und Taschen, Gürtel und Schuhe daraus genäht werden können. Um seine Frau und seinen acht Monate alten Sohn, Mohammed Islam, ernähren zu können, verkauft Khalid Chalif im Sommer auch Orangensaft und Kebabfleisch.

Schnell balanciert Khalid über die rutschigen Ränder der Becken und springt vorsichtig in das rotgefärbte Wasser. Am Boden des Beckens sammeln sich die roten Farbkrümel: gepresste Blütenblätter aus Brasilien, der Farbstoff, mit dem das Leder später knallrot werden soll, wenn es lange genug in dem Lehmbecken schwimmt. Nach 25 Tagen verliert das Wasser in den Lehmbecken seine Wirkung und muss ausgetauscht werden. Dann wird das Abwasser einfach in den Fluss umgeleitet. „Alles ganz natürlich“, erklärt Khalid, wegen der Blumen und des Taubenkots. Vom chromhaltigen Wasser, vom Ammoniak, von den beißenden Dämpfen sagt er nichts. Doch die Chouara-Gerberei ist noch eine der am wenigsten schädlichen Gerbereien in Fès.

Im Industrieviertel am Stadtrand haben sich in den vergangenen Jahrzehnten am Stadtrand moderne Gerbereien angesiedelt. Mithilfe von Schwefel, Kalk, Sulfat, Methansäure, Schwefelsäure und Chrom gerbt das Leder schneller. Bis zu 2000 Schafshäute werden hier täglich bearbeitet. Auch wenn es mittlerweile eine Chrom-Recyclingeanlage gibt, fließt ein Großteil des Abwassers ungefiltert in die Flüsse der Umgebung.

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