Nach Sidi Taibi fahren keine Taxen. „Das Dorf liegt viel zu abgelegen und dort will auch keiner hin“, sagt ein Taxifahrer. Kurz vor dem Ortseingang stoppt der öffentliche Nahverkehr. Die Busse drehen um. Und auch auf der nahen Bahnlinie donnert der Zug nur vorbei. Halt macht hier keiner.
Die Siedlung ist nur 30 Kilometer von Marokkos Hauptstadt Rabat entfernt und nur wenige Kilometer von der Universitätsstadt Kinetra. Doch Sidi Taibi ist ein isolierter Fleck Erde mitten in einer der reichsten Regionen Marokkos. Hier leben die Armen. Diejenigen, die sich das teure Leben in der Stadt nicht leisten können. Auf den braunen Sand haben sich die Menschen winzige Steinhütten gebaut, die meisten von ihnen provisorisch mit Wellblechdach. Dazwischen fließt Abwasser. Abgemagerte Katzen schleichen durch die Siedlung, auf der Suche nach irgendetwas Essbarem.
Khawla El Guerrab ist 18 Jahre alt und lebt mit ihrer Familie in Sidi Taibi.
Es fehlt an fast allem in Sidi Taibi. An Strom zum Beispiel. Wer Glück hat, kann sich von einem der wenigen Stromkabel an der Hauptstraße etwas abzwacken. Aber es fehlt auch an Krankenhäusern, Polizeistationen und Schulen für die 60.000 Menschen, die mittlerweile in der Siedlung leben. Das sind zehn Mal mehr Menschen als vor zwanzig Jahren. Sie alle leben am Existenzminimum.
Das größte Problem in Sidi Taibi aber ist das Wasser. Über die Siedlung verteilt gibt es verschiedene Brunnen, aus denen Grundwasser sprudelt. Von hier holen die Frauen morgens und abends in Kanistern ihr Wasser. Viele schleppen die vollen Behälter kilometerweit bis zu ihren Häusern.
Was die meisten von ihnen nicht wissen: Das Wasser ist hochgradig verschmutzt. „Der Nitratgehalt übersteigt den maximalen Wert um 10 Prozent. Wir wissen, dass das krebserregend ist“, sagt Soufian El Ghzizel. Er hat zum Thema Wasseraufbereitung an der Universität in Kenitra forscht. Der Dünger der Landwirtschaft in der Region sei schuld an der Verschmutzung.
Khawla geht zu einer der wenigen staatlichen Schulen in der Siedlung. Die Al-Anwar-Schule ist riesig, 2.000 Schüler sind hier angemeldet. „Die Ausstattung ist minimal, aber es ist ein guter Ort“, sagt Khawla. Besonders gut ist es hier seit 2014: Da startete die Universität Ibn Tufail in Kenitra ein Forschungsprojekt zur Wasserqualität. Mit staatlichen Hilfen und Unterstützung aus dem Ausland installierte eine Forschungsgruppe in dieser Schule eine Wasseraufbereitungsanlage im Wert von 20.000 Euro. Sie stellt für die Schüler Trinkwasser in besonderer Qualität bereit. Und das mitten im Elend von Sidi Taibi.
Es ist die erste und einzige Wasseraufbereitungsanlage in Afrika, die für die Reinigung des Wassers eine Nanofiltrations-Technologie anwendet. Sie wurde von der European Space Agenca (ESA) entwickelt, ursprünglich für bemannte Expeditionen im All – zum Recyclen von Urin.
Die Anlage ist hochkomplex. „Es gibt nur fünf davon auf der Welt“, sagt El Ghzizel. „Für eine Region, die so isoliert ist wie Sidi Taibi, ist der Nutzen enorm.“ Durch die Nanofiltrations-Technologie ist es möglich, wertvolle Mineralien im Wasser zu halten, die bei der konventionellen Wasseraufbereitung verloren gehen und nachträglich wieder hinzugefügt werden müssen. Außerdem ist es nicht mehr nötig, das Wasser durch Chlorid zu säubern, weil eine biochemische Reaktion das Reinigungsmittel ersetzt. „Was die Kinder in Sidi Taibi in ihrer Schule trinken können, hat eine bessere Qualität als der Rest des Wassers in ganz Marokko“, sagt Soufian El Ghzizel.
Die Anlage braucht eine Menge Strom. Weil es in der Gegend keinen gibt, hat die Forschungsgruppe 162 Solarplatten und eine Windanlage angeschlossen. Die Energie reicht aus, um den Hochleistungsfilter zum Laufen zu bringen. Mit dem Reststrom wird das Büro des Schuldirektors beleuchtet. „Es ist gut zu wissen, dass es in der Schule immer Strom gibt“, sagt Khawla. „Das gibt Sicherheit.“